Die Energiewende stellt Industrie, Forschung, Politik und Gesellschaft vor enorme Herausforderungen. Robert Schlögl, Direktor des Max-Planck-Instituts für chemische Energiekonversion, sagt sogar:
Bis 2050 will Deutschland seine Treibhausemissionen um 95 Prozent im Vergleich zu 1990 senken. Damit das gelingt, müssen Industrie, Verkehr und das Energiesystem neu gedacht werden. Eine zentrale Rolle dabei spielen sogenannte grüne Gase. Wir stellen die drei wichtigen Ansätze vor.
Die Energiewende stellt Industrie, Forschung, Politik und Gesellschaft vor enorme Herausforderungen. Robert Schlögl, Direktor des Max-Planck-Instituts für chemische Energiekonversion, sagt sogar:
Die Energiewende ist der komplette Umbau der Energieversorgung und damit die größte Wirtschaftsumstellung des 21. Jahrhunderts.
Denn mit dem Ausstieg aus Atom- und Kohlekraft allein ist es nicht getan. Zwar haben die erneuerbaren Energien, insbesondere Windkraft und Photovoltaik, heute schon einen Anteil von ca. 42 Prozent am Energiemix der Bundesrepublik, doch auch deren weiterer Ausbau wird nicht reichen, um den gewaltigen Energiebedarf in Zukunft zu decken. Deshalb braucht es neue Technologien, damit wir in Zukunft CO2-neutral leben, heizen und fahren können. Liefert Gas hier Antworten?
In der Diskussion über die klimaneutrale Energiezukunft hat das Gas besondere Bedeutung. Und obwohl klassisches Erdgas als Brückentechnologie eine wichtige Rolle spielt, werden künftig andere Gase durch die Leitungen fließen. In einer ersten Bilanz zum „Dialogprozess Gas 2030“ hält das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) fest, „dass bei ambitionierten Klimaschutzzielen bis 2050 praktisch kein Platz für fossiles Erdgas in seiner heutigen Verwendung sein wird“. Die Betonung liegt hier auf der „heutigen Verwendung“.
Denn einerseits ist die Versorgung durch Erdgas im Transformationsprozess ein wichtiger Pfeiler, um Versorgungssicherheit zu garantieren. Andererseits gehört die Infrastruktur des Gasnetzes zu den besten in Europa. 536.000 Kilometer lang sind die Leitungen, über die das Gasnetz verfügt. Hinzu kommen unterirdische Gasspeicher.
Der Berliner Erdgasspeicher der GASAG
800 Meter tief in einer porösen Sandsteinschicht unter Charlottenburg liegt der Berliner Erdgasspeicher der GASAG. In den 1980er-Jahren wurde das Projekt initiiert, um eine strategische Reserve für die Mauerstadt anzulegen und diese unabhängig von sowjetischen Erdgaslieferungen zu machen. Seit 2017 ist die Anlage stillgelegt. Zukünftig will die GASAG die Anlage als Speicher für erneuerbare Energie nutzen. Die Forschung läuft.
Die gewachsene Gasinfrastruktur ist nicht nur ein Rückgrat der Energiewende. Die Leitungen sollen zu den Lebensadern einer dekarbonisierten, also CO2-freien Energiezukunft, werden. Hier kommen die grünen Gase ins Spiel.
Grüne Gase sind alle gasförmigen Energieträger, bei deren Verbrennung nicht mehr CO2 freigesetzt wird, als zuvor der Atmosphäre entnommen wurde. Sie sind daher nahezu klimaneutral. So heißt es in einer Defintion des BDEW Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft.
Zu den grünen Gasen bzw. klimaneutralen Gasen zählen:
Überall, wo es gärt, entsteht Biogas, genauer gesagt Methan (CH4). Zum Beispiel in Mooren oder Güllegruben. Biogasanlagen funktionieren im Grunde nach demselben Prinzip. Nur dass hier Mikroorganismen die Gärung künstlich anstoßen. Dieser Prozess heißt Methanogenese. Dabei entsteht durch die Reaktion von Wasserstoff mit Kohlenstoffdioxid Methan. Das wird anschließend zu Biomethan, synthetischem Erdgas (CH4+) veredelt und kann ins Gasnetz eingespeist werden. In 90 Prozent der Fälle wird das Biogas direkt am Entstehungsort in Blockheizkraftwerken in Strom und Wärme umgewandelt. Biomethan kann aber beispielsweise auch verwendet werden, um Fahrzeuge mit Brennstoffzelle anzutreiben oder mit Brennstoffzellen-Heizungen Wärme zu erzeugen.
Biogas aus Berlin
In der modernen Biogasanlage der Berliner Stadtreinigung (BSR) in Ruhleben werden jedes Jahr 70.000 Tonnen Bioabfall zu klimaneutralem Biogas umgewandelt. Damit werden 160 Müllfahrzeuge angetrieben, die 60 Prozent des Berliner Rest- und Biomülls abholen. Das sorgt für eine rußfreie Stadt und spart nebenbei pro Jahr rund 2,5 Millionen Liter Diesel.
Wasserstoff ist gerade in Politik und Forschung groß im Trend. Bundesforschungsministerin Anja Karliczek nennt ihn „das Erdöl von morgen“. Dabei ist Wasserstoff eigentlich ein alter Bekannter und noch dazu das häufigste Element im Universum. Allerdings: Ohne Veredelung ist Wasserstoff nicht nutzbar. Und da lag bisher der Haken. Beim herkömmlichen Verfahren zur Wasserstoffproduktion, der Dampfreformierung, wird Erdgas unter großer Hitze in Wasserstoff und CO2 aufgespalten. Das CO2 wird anschließend ungenutzt in die Atmosphäre abgegeben. Die Folge: eine katastrophale CO2-Bilanz. Pro hergestellter Tonne dieses sogenannten grauen Wasserstoffs fallen 10 Tonnen CO2 an, die im Unterschied zu blauem und türkisem Wasserstoff nicht gespeichert oder weiterverwendet werden. Mit diesem „schmutzigen“ grauen Wasserstoff hat die aktuelle Debatte allerdings nichts mehr zu tun. Im Gegenteil: Die Zukunft liegt – wenn es nach Anja Karliczek geht – allein im grünen Wasserstoff.
Power-to-Gas – sauberer geht’s nicht
Grüner Wasserstoff wird ausschließlich aus erneuerbaren Energien hergestellt und ist klimaneutral. Power-to-Gas (PtG) heißt das Prinzip, bei dem Strom aus regenerativer Wind- und Sonnenenergie durch Elektrolyse in sauberen Sauer- und Wasserstoff umgewandelt wird. Der Wasserstoff kann zu einem kleinen Teil entweder direkt ins Erdgasnetz eingespeist oder durch Zugabe von CO2 – etwa aus der Luft oder als Restprodukt aus Biogasanlagen – zu synthetischem Erdgas (CH4) veredelt werden.
Berliner Erdgasspiecher für die klimaneutrale Hauptstadt
Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie fördert ein Entwicklungsprojekt, das die Transformation des Berliner Erdgasspeichers als Element einer klimaneutralen Hauptstadt ermöglichen könnte. Mikroorganismen, sogenannten Archaeen, sollen tief unter der Erde Wasserstoff und CO2 zu Methan (CH4) synthetisieren, das ins Erdgasnetz eingespeist oder gespeichert werden kann. Die GASAG ist mit sechs Partnern aus Industrie und Wissenschaft beteiligt.
Um in Zukunft wirklich alle fossilen Brennstoffe zu ersetzen, muss der Strom der Zukunft nicht nur aus erneuerbaren Energien produziert werden, sondern auch für Wärme und Verkehr als echte Alternative zur Verfügung stehen. Grüne Gase sind ein Schlüssel dazu. Erst wenn erneuerbare Energien sektorenübergreifend einsatzbereit sind, wird die Energiewende gelingen. Klimaneutrale Gase werden in diesem System eine zentrale Rolle spielen. Und gerade deshalb arbeiten die Gasversorgungsunternehmen mit Hochdruck daran, neue Konzepte schnell umzusetzen. Denn jetzt kommt es darauf an, verfügbare Technologie so auszubauen und zu entwickeln, dass sie wirtschaftlich sind und für Kunden bezahlbar werden. 30 Jahre sind nicht viel für die größte Wirtschaftsumstellung des 21. Jahrhunderts, die uns jetzt bevorsteht.
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